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ABSCHIED

  • jacqueline1909
  • Jul 31, 2015
  • 5 min read

So schnell wie das Jahr im August 2014 begann, ist es auch wieder vorüber. Doch im Gegensatz zu all den anderen Jahren, hinterlässt es tiefe Spuren in meinem Leben. Es gab viele Höhen und auch einige Tiefen. Beides gehört dazu, wenn man sich für ein Jahr in einem fremden Land entscheidet. Es warten Herausforderungen, die nicht immer leicht zu meistern erscheinen. Bei mir waren es zum Beispiel anfangs die sprachlichen Barrieren. Ohne Swahilikenntnisse ist es schwer genug sich in Tansania zurechtzufinden. Aber zusätzlich ohne Erfahrungen mit der Zeichensprache an einer Gehörlosenschule zu unterrichten macht es um einiges komplizierter. Dennoch möchte ich diese Erfahrung, das gleichzeitige Erlernen zweier mir völlig fremder Sprachen, dazu in einem mir unbekannten Land mit anderer Kultur, nicht missen. Der gegenseitige Lernprozess hat meine Beziehung zu den SchülerInnen so besonders gemacht. Während wir sie in Englisch und Sport unterrichteten, lehrten sie uns Swahili, Zeichensprache und ihre Kultur.


Obwohl der Abschied von der Schule für mich der schwerste war, weil ich viele schöne Erinnerungen mit diesem Ort und diesen Kindern verbinde, war mein schönstes Erlebnis ein anderes. Es erstreckte sich über ganze drei Tage, die Besteigung des Mt Meru.

Einerseits liegt es an der Landschaft, der Arusha Nationalpark mit seinen vielfältigen Facetten, den Pflanzen und Tieren, der Anblick des Kilimanjaro und den unterschiedlichen Vegetationszonen, die wir auf unserem Weg zur Spitze durchquert haben. Andererseits habe ich die Grenzen meines Körpers ein Stück austesten können, und mich selbst von einer völlig neuen Seite kennengelernt.


Mein ergreifendster Moment war hingegen nicht in Tansania, sondern in Ruanda. Als ich die erste Kirche betrat, in der der Genozid deutlich sichtbare Spuren hinterlassen hat, verschlug es mir den Atem.


Für mich persönlich habe ich viele Dinge in ganz unterschiedlichen Bereichen gelernt. Zum einen natürlich die Sprachen, Swahili, die tansanische Gebärdensprache und etwas Kihaya (die Stammessprache der Bewohner Bukobas). Zum anderen praktische Sachen, wie mit den Händen zu waschen, Bananenblätter als Deckel zu benutzen, mit den Händen zu essen, tansanische Gerichte zu kochen, alte zerschnittene Fahrradschläuche zum Befestigen von Gegenständen zu verwenden, ohne Backofen zu Backen oder mit einer nicht passenden Luftpumpe ein Fahrrad aufzupumpen.


Und zu guter Letzt natürlich kulturelle Aspekte, die zum Teil gravierend von unserer abweichen. Dazu gehören beispielsweise die Häuser und ihre Ausstattungen, i.d.R. ohne Herd, Backofen, Kühlschrank, fließendes Wasser, dafür mit Außentoilette und -küche. Viele Menschen leben zusammen in einem kleinen Raum. Sie essen manchmal auf dem Boden, mit Händen und transportieren Dinge auf ihrem Kopf. Verwandte ziehen die Kinder groß, weil die Eltern es sich aus finanziellen oder beruflichen Gründen nicht leisten können. Kleine und vor allem größere Kinder helfen den Müttern im Alltag, passen auf ihre jüngeren Geschwister auf. Viele Kinder und auch Erwachsene leben auf der Straße, weil sie niemanden haben, zu dem sie gehen können. Nicht jedes Kind kann zur Schule gehen, weil die Wege zu weit sind oder kein Geld da ist, viele Klassen sind überfüllt, weil es an Unterrichtsräumen und Lehrern mangelt, die SchülerInnen werden z.T. geschlagen und müssen vor und nach dem Unterricht für Sauberkeit und Ordnung sorgen. Selbst in einer Stadt wie Bukoba gibt es keine Supermärkte so wie wir sie kennen. Dafür existieren viele kleine Läden, die nicht an feste Öffnungszeiten gebunden sind, große Märkte, wo man selbst am Sonntag frisches Obst und Gemüse kaufen kann. Jüngere Leute grüßen respektvoll die älteren zuerst, an jeder Ecke kann man sich verquatschen, weil die Kommunikation untereinander einen großen Stellenwert besitzt. Diese Beispiele sollen nur einen kleinen Einblick verschaffen aber an viele weitere Dinge habe ich wahrscheinlich bisher noch nicht einmal gedacht.


Egal wie viele kulturelle Beispiele ich hier gebe, das Leben in Tansania lernt man erst zu verstehen, wenn man es mit eigenen Augen gesehen und erlebt hat. Zu viele Vorurteile und Stereotypen setzen sich in den Gehirnen fest, vorrangig geprägt durch die Medien. Sie erzählen in vielen Fällen eine wahre Geschichte, verschweigen jedoch den weitaus größeren Teil der Wahrheit. Es gibt unterernährte Kinder mit Hungerbäuchen aber ebenso werden anderenorts überflüssige Essensreste weggeschmissen. Manche Völker führen heute noch traditionelle Tänze am Feuer auf oder leben in Lehmhütten mit Strohdach, andere hingegen haben ein luxuriöseres Haus als ich es mir in Deutschland je leisten werde und schauen zu Abend fern. Es gibt sehr viele unbefestigte Straßen im Land, überwiegend im schlechten Zustand, doch die Hauptverkehrswege zwischen großen Städten sind geteert. Es darf und soll sich jeder ein Bild von Afrika und dem Leben dort machen, doch bevor man etwas beurteilt, was man selbst nicht kennt, sollte man gründlich nachdenken. Anstelle Aussagen anstandslos zu akzeptieren, sollte man sie lieber hinterfragen. Ich möchte niemanden beurteilen aber dennoch zum Nachdenken anregen…


Für meine Zukunft nehme ich wahrscheinlich mehr Erfahrungen mit, als mir bewusst sind. Aber eines steht an erster Stelle: Pole pole - in der Ruhe liegt die Kraft. Viele Probleme lösen sich von selbst, wenn man lernt abzuwarten.


Innerhalb meines Freiwilligendienstes habe ich Tansania nicht von einem Entwicklungsland in eine Industrienation verwandelt, das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich denke, dass ich im Kleinen etwas bewegen konnte. Meine SchülerInnen haben fleißig Englisch gelernt, einige waren zum ersten Mal in der Stadt Bukoba und in einem Swimmingpool, zumindest die sechste Klasse kann sich jetzt unter der Sportart Handball etwas vorstellen und der Kontakt zur Partnerschule in Großbritannien ist wieder aufgeblüht. Am wichtigsten ist in meinen Augen jedoch der kulturelle Austausch.

Jeden Tag warteten andere neugierige Fragen der SchülerInnen: Ob es denn in Deutschland auch gehörlose Menschen gibt oder wie lange die Kinder bei uns zur Schule gehen. Sie kennen „die Weißen“ auch nur aus dem Fernsehen, als reich und intelligent. Wir konnten ihnen ansatzweise ein realistischeres Bild unserer Kultur liefern und sie in Traditionen wie

Ostern einführen. Auch außerhalb der Schule kannte kaum jemand unsere Kultur. Umso erstaunlicher und lustiger waren die Erkenntnisse, die wir gegenseitig ziehen konnten.


Ein Ort ist und bleibt für mich in Tansania ganz besonders: Bukoba, es war schließlich mein zu Hause. Zum einen liebe ich diese Stadt weil sie mir alles bieten konnte, was ich tatsächlich gebraucht habe, eine Auswahl an Essen, Freizeitbeschäftigungen, gutes Internet. Trotzdem ist diese Stadt im Vergleich zu Städten wie Moshi oder Dar Es Salaam noch sehr traditionell: Wenige Menschen sprechen Englisch, es gibt keine großen Supermärkte, eine überschaubare Anzahl an Wazungu (Europäern) und Reis oder Ugali mit Bohnen bestimmen den Speiseplan. Zum anderen habe ich viele Menschen kennengelernt, die das letzte Jahr zu einem ganz besonderen gemacht haben. Dazu zählen vor allem meine tansanischen Freunde, ohne deren Hilfe ich an der ein oder anderen Stelle aufgeschmissen wäre, ohne die ich viel weniger von der Stadt, dem Land und der Kultur kennengelernt hätte und ohne die es weniger zu lachen gäbe. Aber auch unser Hund Kito, die Mama bei der wir auf dem Markt immer Mittag gegessen haben, Khamis der Ladenbesitzer in der Nähe von unserem Haus, unser Schneider, selbst der Verrückte. Bukoba wäre nicht Bukoba ohne sie.


Jeder Mensch sollte in seinem Leben Träume haben, Ziele denen man nachstrebt, die das eigene Leben lebenswert machen. Einmal habe ich ein Buch gelesen „Safari des Lebens“, in dem Ma Ma Gombe sagt, dass wir in unserer Seele unsere größten Wünsche aufbewahren, unsere Big Five For Life. Fünf individuelle Lebensziele, die jeder erkennen und deren Erfüllung er nachstreben muss, um glücklich zu werden. Ich konnte mir zwei meiner Big Five während der vergangenen 12 Monate erfüllen. Was sind deine Big Five For Life? Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!


Haya, kwa heri!

Mpao!


 
 
 

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